Im Mittelalter stellten Ovids Metamorphosen die wichtigste Grundlage in der Verbreitung und Rezeption antiker Mythen dar, da dieses Werk spätestens seit dem 9. Jh. bei allen mittelalterlichen Autoren bekannt war. Die Einstellung gegenüber antiker Mythologie war an sich ziemlich ambivalent. Viele Autoren verwendeten diese Geschichten, um ihr Publikum von dem hohen moralischen Standpunkt ihrer Vorstellungen im Vergleich zu dem ruchlosen Tun antiker Götter sowie heidnisch-verwerflichen Vorstellungen der Antike zu überzeugen. Andererseits wurden Mythen wie der Europamythos oft heilsgeschichtlich in eine Allegorie der Menschenseele (= Europa) in ihrem Streben nach Gott (= Christus = Zeus) uminterpretiert.
Parallel zu dieser heilsgeschichtlichen Deutung existierten nach dem Vorbild Herodots mythographische Wiedergaben dieser Erzählung, die versuchen, dem Ereignis eine rationalistische Erklärung zu geben. Ebenfalls seit Herodot hat die Rolle Europas als Namenspatronin des Kontinents Bestand.
Zu Beginn des 15. Jh.s erweiterte sich die bestehende christlich dominierte Ikonographie um weltliche Themen. Der Europamythos gehörte in den folgenden drei Jh. mit zu den beliebtesten Bildthemen. Man findet ihn in der Graphik, in der Malerei, in der Bildhauerei, auf Truhen, auf Kirchenbronzetüren, in der Wandmalerei, etc. Das Gemeinsame aller Darstellungen ist die weitestgehende Entdramatisierung des Geschehens, ihre künstlerische Erzählweise sowie die Erotisierung des Themas. Während Europa meist halbnackt, in aufreizender, sinnlicher Pose und zarter Zerbrechlichkeit dargestellt ist, vermittelt der Stier zu gleich einen Eindruck von Kraft und Sanftheit. Europa als zentrale Person ergibt sich meist willig den Verführungskünsten von Zeus.
Im 16. Jh. wurde der Kontinent Europa auch immer wieder in Gestalt einer allegorisierten Frauenfigur dargestellt. Die Vorstellung von Europas Fruchtbarkeit ist im 16. Jh. von hoher Aktualität. Außerdem kam es in dieser Zeit zu immer mehr Entdeckungen fremder Welten und einem intensiveren Kulturkontakt. Durch die verstärkte Fremdwahrnehmung anderer Völker mit ihren Sitten und Gebräuchen wurden sich die Europäer immer mehr ihrer eigenen Sitten und Eigenschaften bewusst. Mit dem verstärkten Kulturkontakt durch Handelsbeziehungen, Besiedelung und Missionierung verwandelte sich dieses Bewusstsein zunehmend in ein Gefühl der Überlegenheit sowie auch Abgrenzung. Es entstand schließlich die Idee von Europa als hegemonialer Macht. Ein sehr beliebtes Darstellungsmittel der barocken Kunst wurden die Erdteil-Allegorien, unter denen die Personifikation Europas durch ihre Positionierung sowie Attributierung den ersten Platz einnimmt. Sie präsentiert sich in der Regel kostbar gekleidet, bekrönt und umgeben von einem Tempietto, zwei Füllhörnern, den Zeichen der weltlichen und geistlichen Herrschaft (Reichsinsignien, Tiara), Waffen, Büchern, Musikinstrumente, Malgeräte, einer Eule und/oder einem Pferd.
Zu Beginn des 19. Jh.s verlor die Verwendung des Europamythos als Allegorie und insbesondere innerhalb der Erdteil-Ikonograpie sehr an Bedeutung. Einerseits wurde nämlich das europäische hierarchische Weltbild durch die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von 1776 und andere folgende Freiheitskriege in den süd- und mittelamerikanischen Kolonien erschüttert.
Außerdem stellte in Europa selbst die Französische Revolution das herrschende System in Frage und Säkularisierungsbestrebungen brachten die kirchliche Hegemonie innerhalb Europas ins Wanken. Letztlich wurden die barocken Kunstvorstellungen zunehmend als überladen empfunden, und schließlich von dem klareren, schlichteren Stil der Romantik abgelöst.
In den letzten zwei Jahrzehnten lässt sich in der Kommunikationspolitik der Europäischen Union, eine verstärkte Verwendung des Europamythos bemerken. Die Glücksmetapher in Kombination mit einem Fortschrittsanspruch spielt in der Auswahl der Darstellung eine entscheidende Rolle. Als Motiv der Darstellungen wurde stets die Meerfahrt ausgesucht; also der Moment, in dem Europa von Zeus auserwählt worden ist und wie beide über das Meer ihrem gemeinsamen Schicksal entgegen stürmen. Symbolisch stehen sie für das europäische Zusammenwachsen sowie Fortschritt. Europa wird zur Repräsentantin der Bürger und Bürgerinnen Europas, die von der Kraft des Stieres, der die EU symbolisiert, in eine bessere Zukunft mitgerissen wird.
Seit 2013 ist die Sagengestalt auf dem 5-€-Schein abgebildet, dieser ist der erste Schein der zweiten Serie „Europa-Serie“ der Eurobanknoten. Die neue "10€-Banknote", ebenfalls mit der Abbildung der Europa, befindet sich seit 2014 im Umlauf. Das abgebildete Porträt stammt von einer über 2000 Jahre alten Vase aus Süditalien, die im Pariser Louvre besichtigt werden kann.
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